Die rede zum CSD 2001 |
Rede des Bundespräsident 2001, Moritz Leuenberger anlässlich der Eröffnung des Christopher Street Day, Helvetiaplatz, Zürich
Sie haben mich seinerzeit mit dem Argument eingeladen, ich sei ja auch zu einer Minderheit ins Albisgüetli gegangen, also solle ich doch auch zu Ihnen kommen. Sie haben also diesen Vergleich gemacht. Dennoch gehe ich davon aus, dass es nicht zu viele Parallelen zwischen dem Christopher Street Day und dem Christopher Day im Albisgüetli gibt! In einem Punkt haben Sie Recht, ich will im Präsidialjahr zu Minderheiten gehen. Darum war ich ja auch bei den Wirtschaftsvertretern in Davos, bei den Eisenbahnern in Bern, bei den Karikaturisten in Morges und ich war in Genf bei den Automobilen und Automobilinnen. Dieses Land besteht ja aus lauter Minderheiten, aus sprachlichen religiösen, kulturellen. Was Sie betrifft, frage ich mich manchmal: Sind Sie denn überhaupt eine Minderheit? Denn: Egal wo ich hinkomme - ob an einen wirtschaftlichen Anlass, ins Restaurant, ins Theater, ins Bundeshaus, in den Kleiderladen - überall begegne ich Ihnen. Ich habe mir Ihr Programmheft angeschaut, und ich habe festgestellt, dass Sie offenbar zum lohnenden Zielpublikum für die Werbung geworden sind: Sie haben weit mehr als die Hälfte der Seiten mit Inseraten füllen können. Welche Minderheit schafft denn so etwas? Ich habe mich also gefragt: Braucht es diesen Anlass überhaupt noch? Braucht es denn den Bundespräsidenten? Sind Sie alle nicht längst eine gesellschaftliche Macht? Dann habe ich Briefe bekommen, in denen ich vor Ihnen gewarnt wurde. Da sind meine Zweifel verflogen. In diesen Briefen ist die Rede von «Schande», von einem «Spiel des Teufels», das Allermeiste dürfte ich gar nicht zitieren, ohne mich strafbar zu machen. Ich habe vorgestern einen ordinären und verunglimpfenden Beitrag des Showmasters Harald Schmidt über Klaus Wowereit gesehen. Ich habe auch von den Schwierigkeiten gelesen, die Sie im Wallis haben. Und ich habe gelesen, dass Sie an Ihren Arbeitsplätzen gemobbt, nicht befördert, dass einige sogar entlassen werden, wenn sie zu ihrer Homosexualität stehen. Sie haben diese Probleme am Arbeitsplatz zum Thema des diesjährigen CSD gemacht. Ich stelle fest, dass in unseren Breitengraden die Aufklärung halt doch noch nicht vollständig Einzug gehalten hat. Die Aufklärung löste im Lauf des 17. und 18. Jahrhunderts, also vor knapp 300 Jahren, den Absolutismus ab. Sie brachte Europa die ersten Menschenrechte, die freie Meinungsäusserung, die Bücher, die exakte Wissenschaft, den Begriff der Toleranz und vor allem das «Licht der Vernunft». Kirche und Thron mussten ihr Monopol auf die einzig richtige Meinung und Moral abgeben. Das war eine Liberalisierung des Moralanspruches, also quasi eine Öffnung des Moralmarktes. König Friedrich Der Grosse von Preussen erkannte: «In meinem Staate kann jeder nach seiner Fasson selig werden.» Und Goethe - ich möchte Johann Wolfgang hier auf dem Helvetiaplatz herzlich willkommen heissen - schrieb: «Eines schickt sich nicht für alleSehe jeder, wie erÂ’s treibe, Sehe jeder, wo er bleibe Und wer steht, dass er nicht falle.» Kampf um die formalrechtliche Anerkennung In einem Rechtsstaat gehört ein solcher Grundsatz formal festgehalten. Der Grundsatz «Jedem das Seine» ist in der Schweizer Bundesverfassung in der Präambel festgehalten, als «gegenseitige Rücksichtnahme und Achtung». Es wird ausdrücklich festgehalten, dass vor dem Gesetz alle gleich sind - auch die Andersdenkenden, auch die Anderslebenden. Und es steht konkret: «Niemand darf diskriminiert werden wegen seiner Lebensform». Homosexuelle Paare haben das formale Recht, ihre Partnerschaft ohne staatlichen Behinderungen zu leben. Wer füreinander sorgen will, darf nicht davon abgehalten werden. Es braucht sicher einmal ein angepasstes Erbrecht, ein Aufenthaltsrecht für ausländische Partner, Verbesserungen bei den Sozialversicherungen, zum Beispiel der Pensionskasse, ein Besuchsrecht im Spital oder im Gefängnis. In diesem Jahr wird der Bundesrat dazu einen Vorentwurf zur Botschaft für eine registrierte Partnerschaft in die Vernehmlassung geben. In den nördlichen Staaten bestehen zum Teil schon seit längerer Zeit entsprechende Gesetze, nicht jedoch in den südlichen. Das sind kulturelle Unterschiede, die wir in der Schweiz auch spüren. Die Auffassungen zur bundesrätlichen Politik sind dies- und jenseits des Röstigrabens, zwischen Stadt und Land, zwischen Alten und Jungen nicht dieselben. Gerade wegen diesen kulturell-politischen Unterschiede gehen wir eine Politik der kleinen Schritte. Sie sähen uns gewiss lieber etwas mutiger daherschreiten, ich weiss das (ich denke an das Ehe- oder Adoptionsrecht). Die Politik der kleinen Schritte ist eine Politik auch der Rücksichtnahme. Auf jene Menschen nämlich, denen das alles viel zu schnell geht, die sich überrumpelt fühlen. Es ist eine Politik im Bewusstsein darum, dass Auseinandersetzungen zwischen politisch verschiedenen Haltungen Zeit brauchen. Kampf um die gesellschaftliche Anerkennung Die rechtliche Anerkennung ist das Eine. Das Andere ist die gesellschaftliche Akzeptanz. Die Frauen wissen es aus ihrem langen Kampf um Gleichbehandlung: Rechtliche Gleichstellung bedeutet noch nicht gesellschaftliche Gleichstellung. Auch Goethe - er ist immer noch hier und gehört wieder einmal zitiert- , wusste das; und er nahm es gelassen. Er schrieb: «Jedem redlichen BemühnSei Beharrlichkeit verliehn.» Ihrer Beharrlichkeit ist es zum Beispiel zu verdanken, dass ich heute die Worte «schwul» oder «lesbisch» viel leichter über die Lippen bringe. In meiner Jugend waren dies obszöne Schimpfworte, und ich wunderte mich später darüber, dass Sie sich nicht einen anderen, weniger belasteten Namen geben. Heute muss ich Sie dazu beglückwünschen. Sie sind auf diese Weise zwar den schmerzlicheren Weg gegangen; aber Sie haben etwas in Bewegung gebracht. Sie haben Schimpf und Schande auf sich genommen, aber Sie sind daran, die Worte «schwul» und «lesbisch» salonfähig zu machen (salonfähig waren sie zwar noch rasch einmal; ich meine inhaltlich akzeptiert). Sie hätten auf eine politisch korrekte Bezeichnung ausweichen können - etwas Lateinisches oder Griechisches vielleicht? Sie hätten sich umtaufen können. Wie die Putzfrauen, die zu Raumpflegerinnen und später zu Raumkosmetikerinnen umgetauft worden sind. Wie die Dicken, die über die Zwischenstation «beleibt» zu «Vollschlanken» oder sogar nur noch «horizontal Herausgeforderten» wurden. Oder wie die alten Menschen, die man heute unverfänglich «Senioren» nennen muss. Politische Korrektheit schafft Tabus, fördert die Verdrängung und behindert das Denken. Dass der frühere Fremdarbeiter zum Gastarbeiter wurde, hat seine Lebensumstände kaum verbessert. Es hat vor allem das schlechte Gewissen vieler Schweizerinnen und Schweizer beruhigt. Stets wechselnde Etiketten wirken nicht aufklärerisch. Im Gegenteil. Sie vertuschen das Problem und verhindern letztlich dessen Lösung. Sie, meine Damen und Herren, wollen etwas bewegen, Sie wollen Einstellungen verändern. Dies ist ein Prozess, und Sie brauchen sehr viel Ausdauer. Denn der Prozess dauert schon lange, und er wird wohl noch lange weiter andauern. Dass jeder nach seiner eigenen Fasson selig werden soll, ist ja eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Wir wundern uns, dass es nach Jesus Christus mehr als 1.700 Jahre dauerte, bis ein Politiker diese Selbstverständlichkeit aussprach. Heute, noch einmal ein Viertel Jahrtausend später, sind wir zwar um einiges weiter. Doch die Selbstverständlichkeit ist immer noch nicht da. Aber sie muss kommen. Sie haben ein Recht darauf. |