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Warum ich die Schweiz liebe   von Tyler Brûlé
Als ich Anfang letzter Woche nach Stockholm reiste, um eine Ausstellung zu eröffnen, erfuhr ich, dass Schweden mich hasst. «Tyler Brûlé wendet sich von unserem Land ab, er mag bloss noch die Schweiz», schrieben die Zeitungen. Eine Journalistinbehauptete gar, ich würde bei meiner Länder-Präferenz alphabetisch vorgehen: «Jetzt verführt er die Schweizer, vor fünf Jahren waren wir seine Lieblinge.» - «Weshalb dann», fragte ich die Schreiberin, «habe ich Swasiland übergangen?»

Zur Erinnerung: Ich liebe Schweden noch immer - hübsche Bewohner, feine Haushaltwaren und vorzügliche Sommer. Aber die Schweiz liebe ich länger. Zwar verfügen beide Länder über Charaktermerkmale, die sie zu liebenswerten und lebenswerten Orten machen, aber die Schweiz verzauberte mich schon als Kind. Die Gründe: kitschige schweizerisch-kanadische Fernseh-Koproduktionen mit süssen Lawinenhunden, Besuche in Zürich mit meinen Eltern und meine Liebe zu allen Dingen, die der Fortbewegung dienen. Ganz besonders faszinierte mich die Idee, dass dieser nette Flecken mehr als 240-mal in meinem Heimatland Kanada Platz fände. 25 Jahre später finde ich immer noch Gefallen an diesen Kindheitserinnerungen. Dazu gesellten sich aber Werte und Eigenschaften, die die Schweiz auf den Spitzenplatz meiner persönlichen Hitparade der entwickelten Länder setzen. Ohne besondere Reihenfolge zähle ich auf, weshalb ich von nun an noch öfter, nämlich wöchentlich, hinreisen werde:

  • Infrastruktur: Das integrierte Schweizer Transportsystem ist das beste der Welt. Klar, Schweizer wissen das schon lange. Aber Menschen, die ihr Hauptquartier in New York oder, wie ich, in London haben, finden es erfrischend, in der Schweiz nahtlos aus sauberen, verhältnismässig preiswerten Zügen in ebensolche Trams oder Busse umzusteigen. Und das zur selben Zeit, in der der Rest der Welt stecken bleibt.
     
  • Standardisierung: Kein anderes Land hat es geschafft, mehr Normen durchzusetzen. Beispiel Badezimmer - wen lässt eine Nation unbeeindruckt, die genormte Zahngläser und Seifenschalen hat? Diese Normierungsdichte gibt es in allen Bereichen des täglichen Lebens, zum Beispiel bei Bettwäsche, Fenstern und Waschküchen; ein untrügliches Zeichen dafür, dass es Schweizern besser geht als Bewohnern anderer Länder.
     
  • Arroganz: Ich bin Befürworter einer gesunden Portion Arroganz, und Schweizer haben reichlich davon. Zwar nicht immer aus triftigen Gründen, aber das macht nichts. Dieser Zug garantiert interessante Diskussionen.
     
  • Gleichgültigkeit: Ein Augenschein in den Strassen von Lausanne, St. Gallen oder Basel zeigt, dass Schweizer von kurzlebigen Moden unberührt bleiben. Obwohl sie Luxusmarken lieben, scheinen sie eine angeborene Widerborstigkeit zu besitzen, die Produkte im Sinne der Firmen, die sie herstellen, zu verwenden. Das mag eine oberflächliche Beobachtung sein, aber ich bin nicht der Einzige, der sie macht. Viele Besucher staunen, wenn es um den persönlichen Stil der Schweizer geht. 1972? 1992? 2002? Wen kümmert's? Wir tragen und stellen ins Wohnzimmer, was uns gefällt - und fühlen uns bestens dabei, n'est-ce pas?
     
  • Vielfalt: Einverstanden, eine offensichtliche Erkenntnis. Nichtsdestotrotz wichtig, denn Vielfalt ist der Kleber, der das Lebensgefühl Schweiz zusammenhält. Schweizer wechseln von einer Fremdsprache in die andere, Schweizer öffnen ihre Grenzen für Flüchtlinge, und Schweizer akzeptieren neue, revolutionäre Design- und Architekturideen. Für mich einige der beeindruckendsten Qualitäten dieser Nation.
     
  • Modernität: Auf den ersten Blick würde man Schweizer nicht als besonders innovationsfreudig bezeichnen. Aber die Schweiz ist zusammen mit Japan einer der wichtigsten Märkte für modernes Design. Egal, ob dänischer Hersteller von Stahl-Teekesseln oder schwedischer Bettenfabrikant - wer offene, kauffreudige Konsumenten sucht, muss die Schweiz bearbeiten. Ab und an führt die Bereitschaft, modern zu sein, in die falsche Richtung. In den meisten Fällen aber bringt sie dem Land etwas und festigt seine Spitzenposition.
     
  • Lebensqualität: Muss ich mehr sagen? Das Leben kann nicht viel besser sein, meine Lieblinge. Natürlich, es gibt Sydney - aber Swiss fliegt da (noch) nicht hin. Und Spanien vermittelt ein wenig vom Lebensgefühl der Neuen Welt in Europa - bloss ist es oft ermüdend, Pionier zu sein. Es gibt nichts Besseres, als im Zentrum zu sitzen und von allen anderen besucht zu werden.
     
  • Genauigkeit: Ingenieursleistungen, Fahrpläne einhalten, Buchführung, die Banken - Präzision und Genauigkeit sind eine unschlagbare Kombination, die das Leben besser macht. Ausnahme: Schweizer Journalismus; hiesige Zeitungen sind schrecklich ungenau. Was wiederum etwas Gutes hat, wenn man mich mit 33 in Zeitungsartikeln 31- oder 32-jährig macht.
     
  • Gelegenheiten: Das gute Leben macht träge. Trägheit schafft Gelegenheiten für Aussenstehende. Die Schweiz hat eine Menge unentdeckter Marken mit unausgeschöpftem Potenzial. Was es braucht, ist ein Hauch magischen Marketingstaubs - und schon ist das Land bereit für eine Reihe weiterer Export-Erfolgsgeschichten.

Tyler Brûlé ist Chef der Wallpaper-Gruppe.
Dazu gehören das Magazin Wallpaper und die werbeagentur Wink, die das erscheinungsbild der Swiss erarbeitet.

Übersetzt von Mark van Huisseling

© Weltwoche Ausgabe 07/2002

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